Das Gutmenschensyndrom – Wie uns Perfektionismus blockiert…
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Seit ich sechzehn Jahre alt bin beschäftige ich mich mit Spiritualität. Mir war es immer wichtiger den Sinn des Lebens zu verstehen und die Zusammenhänge des Universums, anstatt die große materielle Karriere anzustreben. Dies führte zu vielen bewusstseinserweiternden Reisen und Beschäftigungen mit anderen Kulturen und Religionen. Spiritualität war somit ganz natürlich immer Teil meines Lebens gewesen. Ich machte mir nie ernsthaft Gedanken darüber wie weit ich bereits auf meinem Weg sei, denn das Wichtigste war für mich immer die Wissenserweiterung, welche auf einem großen Lerndrang fußte.
Als ich nach Glastonbury in England zog traf ich auf sehr viele spirituelle Menschen und auf einmal sah ich mich mit riesigen spirituellen Egos konfrontiert. Es war wie auf einem Markplatz für Esoterik und jeder konkurrierte damit spiritueller und hochentwickelter zu sein als der Nachbar.
Ich spürte einen unheimlichen Druck, als ich meine Priesterinnenausbildung begann, denn auf einmal war ich nicht länger der stille Wissenssuchende, sondern trat ins öffentliche Antlitz. Ich outete mich für alle sichtbar als “spiritueller Mensch”. Würde dies bedeuten, dass ich nun mit dem ganzen Ego Hype mithalten müsste, um spirituell zu wirken oder wahrgenommen zu werden?
Die beliebteste Plattform der Selbstdarstellung war Social Media und die Menschen, welche den Hype am besten bedienen konnten, erfreuten sich der größten Beliebtheit. Doch ich merkte, dass meine Interpretation von Spiritualität eine andere war, nüchterner, realitätsnäher und weniger emotional.
Ich spürte, wie in mir ein großer Widerstand aufkam. Eigentlich bin ich ein ziemlich privater Mensch, der nur etwas teilt, wenn er das Gefühl hat, wirklich etwas sagen zu können. Leider funktionieren die sozialen Medien in genau entgegengesetzter Weise. Wer erfolgreich sein möchte muss die Plattformen, welche gleich eines hungrigen Monsters, nach Aufmerksamkeit und Futter schreien, täglich füllen! Dies war einfach nicht mein Stil, da ich weder der große Selfie-Künstler bin noch der “Copy-und-Paste” Kung Fu Panda!
Auch empfand ich die Social Media Welt und die Leute welche ein perfektes Image porträtieren konnten als unauthentisch und ich haderte mit mir, ob ich der Beliebtheit willen, ein verzerrtes Bild der Realität wiedergeben sollte?
Ich spürte, wie sehr ich unter den gängigen Moralvorstellungen litt. Ich war nicht immer nur “Liebe und Licht”, ich lernte nicht sofort aus jedem Fehler, sondern konnte manchmal auch ziemlich stur und trotzig sein!
Dies führte dazu, dass ich neugierig wurde, wie unsere Ahnen denn Spiritualität interpretierten und lebten. Also verband ich mich in einer kleinen Übung mit den ältesten Bewohnern des Landes, den Steinwesen und bekam ich eine interessante Botschaft:
“Es gibt keine Schablone wie ein spiritueller Mensch zu sein hat!”.
Es dauerte einige Zeit bis die Botschaft wirklich durchsickerte und ich sehen konnte, wie voll mein Geist von jenen Schablonen und Denkschubladen war. Dann erkannte ich, dass es nicht nur mir so ging, dass viele Menschen diese inneren Moralvorstellungen hegten “wie ein spiritueller Mensch zu sein hatte” und zwanghaft versuchten diesem gerecht zu werden!
Wenn wir meinen kein guter Mensch zu sein, wenn wir auch mal wütend werden oder nicht alles was wir sagen immer auf die Goldwaage legen, dann sind dies genau jene Schablonen, welche zu einer eingeschränkten Sicht führen und im ungünstigstem Fall dazu, dass wir eine Scheinidentität aufbauen nur um mit all den spirituellen Egos und Gutmenschen da draußen konkurrieren zu können!
Somit ist es gerade dieses Gutmenschen-Syndrom von dem wir uns jetzt befreien dürfen, dass menschlich sein nicht gleichbedeutend ist mit minderwertig. Eher im Gegenteil, menschlich zu sein, bedeutet authentisch und realistisch zu sein. Denn es ist gerade die illusorische Sicht auf die Welt, welche uns in unrealistische Erwartungen an uns selbst und unsere Mitmenschen stürzt.
Es ist nicht immer einfach sich von diesen Denkmustern zu befreien, denn sie werden uns von Kindesbeinen an eingetrichtert. Jede religiöse Stätte ist voll von Heiligenbildern mit heroischen Menschen, Halbgöttern, welche bis zum Rand der totalen Selbstaufgabe der Menschheit dienen!
Kein Wunder, dass wir uns minderwertig fühlen, wenn wir spüren, dass unsere Geduld, unser Mitgefühl und Weisheit begrenzt sind und wir keine Super-Humans sind!
In solchen Phasen sind es dann gerade die beiläufigen Bemerkungen anderer Menschen, welche diese Denkschablonen wieder in uns auslösen “Oh du strahlst ja gar nicht mehr so!” oder “Wo ist dein Leuchten hin?!?”, anstelle die Realität anzuerkennen, dass das Leben aus hellen und dunklen Phasen besteht.
Sowie die berühmten Moralfingerapostel Kommentare “Ein spiritueller Mensch benutzt keine Wörter wie Mist oder Shit!”.
Authentisch sein erfordert Mut, somit dürfen wir uns auch von diesen Meinungen befreien. Denn wenn wir glauben uns verbiegen zu müssen, um als nett, lieb, spirituell angesehen zu werden, dann blockieren wir uns in unserem Selbstausdruck, nur um die Anerkennung anderer zu gewinnen und drängen unser wahres Selbst in eine Schattenexistenz.