Zauberer und Magier – Die Schamanen des Abendlandes

Zauberer und Magier – Die Schamanen des Abendlandes

In jeder Kultur gab es Menschen, die aufgrund ihrer besonderen spirituellen Fähigkeiten als weise Frauen und Männer verehrt wurden. Oftmals greift man dabei auf das Wort ‘Schamane’ oder ‘Schamanin’ zurück, um diese außergewöhnlichen Individuen zu beschreiben. Doch diese Bezeichnung, so faszinierend und mystisch sie klingen mag, hat ihre Wurzeln im sibirischen Kulturraum und bezieht sich speziell auf diese Region, auch wenn der Begriff mittlerweile synonym für die unterschiedlichsten spirituellen, religiösen und rituellen Spezialisten verwendet wird. Gerade die verallgemeinernde und undifferenzierte Verwendung dieses Begriffs wird deshalb häufig kritisiert, was dazu führt, dass viele Menschen versuchen, statt eines Sammelbegriffs wie Schamane oder Schamanismus die jeweiligen regionalen Benennungen zu verwenden, was gar nicht so einfach ist, denn wer waren die “Schamanen des Abendlandes”?

Wenn wir uns alte europäische Sagen und Legenden ansehen, dann stoßen wir häufig auf einen speziellen Archetypen mit besonderen magisch-spirituellen Fähigkeiten, den Zauberer oder Magier. Eines der berühmtesten Beispiele aus der keltischen Mythologie ist Merlin oder Myrddin, der legendäre Zauberer aus der Artus-Sage, welcher in mittelalterlichen Schriftstücken und Gedichten vorkommt. Neben Merlin und dem weiblichen Pendant, der Zauberin Morgana, gibt es jedoch auch andere bedeutende Vertreter dieses Archetyps, wie Gwydion aus dem walisischen Mabinogion. Gwydion ist eine faszinierende Gestalt, der als Meister der Verwandlung und Magie bekannt ist.

Interessant ist, dass auch die Druiden, die religiösen Spezialisten der Kelten, von römischen Gelehrten gelegentlich als “Magi” bezeichnet werden, was im Lateinischen “Magier” bedeutete, so wie der Gelehrte Plinius der Ältere, der im 1. Jahrhundert nach Christus lebte und das berühmte Ernteritual der Mistel in Buch 16 seiner Naturgeschichte mit folgender Einleitung beginnt “Die Druiden – so nennen sie ihre Magier – halten nichts für heiliger als die Mistel und den Baum, auf dem sie wächst, vorausgesetzt es handelt sich um eine Eiche…”.

Doch auch in der germanischen Mythologie gibt es Verweise auf Zauberer. Der Gott Wotan wird in Festansprachen und Zaubersprüchen oft als Zauberer bezeichnet, was seine übernatürlichen Fähigkeiten und seine Verbindung zu mystischen Kräften unterstreicht. Wotan galt auch als Wanderer und Seher, ähnlich den Schamanen anderer Kulturen. Es wurde angenommen, dass er durch die verschiedenen Welten reiste und Erkenntnisse erlangte. In diesem Zusammenhang könnten Rituale und Praktiken, die mit Wotan in Verbindung standen, auch schamanistische Elemente enthalten haben, wie schamanistische Reisen oder Visionssuchen.

Zauberei ist das deutsche Wort für Schamanismus.

Christian Rätsch – Der Heilige Hain

Die alten Erzählungen von Zauberern und Zauberinnen mit übermenschlichen Fähigkeiten haben einen tiefen Eindruck in unserer kulturellen Vorstellungskraft hinterlassen, was man auch heute noch an der anhaltenden Faszination für diese magischen Archetypen sehen kann, die sich in zahlreichen Filmadaptionen widerspiegeln, wo der spirituelle Held kein Schamane ist, sondern ein Zauberer, so wie Gandalf aus der Herr der Ringe Saga oder Harry Potter aus den gleichnamigen Filmen. Diese Geschichten mit ihren zeitlosen Archetypen sind ein Ausdruck unseres kollektiven Unterbewusstseins und vielleicht eine vage Erinnerung an jenes kulturelle und spirituelle Erbe und die weisen Frauen und Männern, die hier einst gelebt und gewirkt haben.

Fragt man einen modernen Mitteleuropäer, was Schamanismus sei, verweist er sicherlich auf die indigenen Völker ferner Länder und ihre fremdartigen Kulte. Stellt man dieselbe Frage einem antiken Mitteleuropäer, vielleicht dem Vorfahren jenes modernen, dann würde dieser höchstwahrscheinlich antworten: „Wenn Sie was von unserm weisen Mann und Zauberer erfahren wollen – der wohnt gleich dahinten, in dem kleinen Haus am Waldrand“.

Dr. Thomas Höffgen – Schamanismus bei den Germanen

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