Die Frühlingsgöttin Ostara – Gibt es sie, oder nicht?

Die Frühlingsgöttin Ostara – Gibt es sie, oder nicht?

Als ich einmal im Frühling eine kleine Kapelle besuchte, die auf einer Hügelkuppe, die Landschaft überragte, konnte ich kaum glauben, was ich dort auf einer Infotafel las. Laut einer Sage nach soll die Kapelle auf der Kultstätte der Frühlingsgöttin Ostara stehen. Gäbe es wirklich Beweise dafür, wäre das eine kleine Sensation gewesen. Also stellte ich sofort Nachforschungen an und sprach mit einem sehr netten Herrn des lokalen Arbeitskreises für Geschichte. Ich hatte gehofft, dass es in irgendeiner alten Chronik einen Verweis auf eine vorchristliche Kultstätte geben könnte. Leider konnte mir der hilfsbereite Herr dies nicht bestätigen, vielmehr gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich dort jemals eine Kultstätte zu Ehren der Ostara befunden habe, bzw. kann man auch nicht mehr nachvollziehen, wie diese Verbindung zustande kam. Die Vermutung ist, dass in der Vergangenheit, auf der Suche nach den eigenen Wurzeln, alles Germanische sehr beliebt war, was man ja leider auch an den Nationalsozialisten sehen kann, die das germanische Erbe für ihre kranken Ideologien missbrauchten.

Natürlich war ich enttäuscht als ich dies hörte, denn es hätte mir schon ein Lächeln auf die Lippen gezaubert, wenn gerade mein Heimatland Bayern den Beweis liefert, dass es die germanische Göttin Ostara wirklich gegeben hat.

Doch warum wird die Existenz von Ostara im Gegensatz zu anderen germanischen Göttern überhaupt angezweifelt, wird sie doch jedes Jahr von Tausenden Neuheiden im Frühling zelebriert? Dies hat damit zu tun, dass es nur eine einzige Quelle gibt, die auf eine mögliche Frühlingsgöttin mit dem Namen Eostre verweist. Diese stammt von dem angelsächsischen Mönch und Kirchenhistoriker Beda Venerabilis (Beda der Ehrwürdige). So schrieb dieser im Jahre 725 in seiner auf Lateinisch verfassten Schrift „De temporum ratione“ (Über die Zeitrechnung), dass der Monatsname für den April „Eosturmonath“, von einer angelsächsischen Göttin Eostre stammen soll, die in diesem Monat verehrt wurde. Dies ist allerdings mehr oder weniger die persönliche Interpretation von Bede und kein historisch bewiesener Fakt.

Der deutsche Sprach- und Literaturwissenschaftler Jacob Grimm sah in dem althochdeutschen Wort für Ostern, Ostarun und dem altenglischen Eostre eine gemeinsame Sprachwurzel und schlussfolgerte somit, dass in Deutschland im Ostermonat einst eine Göttin Ostara verehrt wurde. Dies führte zu der Überzeugung, dass das Osterfest nach einer germanischen Göttin benannt wurde. Natürlich sagen Christen berechtigterweise, dass es doch etwas sehr weit hergeholt wäre, zu behaupten, das höchste Fest der Christenheit sei nach einer vorchristlichen Göttin benannt worden. Dennoch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, die sich auch Jacob Grimm stellte, warum das Fest, das bis zum Jahre 325 zeitgleich zum jüdischen Pessachfest gefeiert wurde, bis die Kirche es als notwendig erachtete, sich von diesem abzugrenzen und den Termin für die Feierlichkeiten auf den ersten Vollmond nach der Frühlingstagundnachtgleiche, bzw. ab dem 8. Jahrhundert auf den ersten Sonntag setzte, nicht von dem hebräischen Eigennamen „Pessach“ abgeleitet wird? Dieser bildet die Grundlage für die meisten in Europa verwendeten Bezeichnungen für das christliche Auferstehungsfest, außer in den germanischsprachigen Gebiete Europas, wo der Name nicht vom Pessachfest, sondern von einem Begriff abgeleitet wird, der im modernen Deutsch als Ostern und im modernen Englisch als Easter wiedergegeben wird.

Ist es also wirklich so weit hergeholt, zu glauben, dass ein religiöses Fest auf einer älteren Mythologie basieren könnte und aufgrund der kulturellen Überlagerung, viele der ursprünglichen Kernelemente mit übernommen hat?

Der englische Historiker Ronald Hutton schreibt in seinem Buch „The Stations of the Sun – A History of the Ritual Year in Britain“, dass sich aus den Diskussionen über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem christlichen Fest und einer germanischen Göttin zwei Tatsachen zu ergeben scheinen. Die Erste ist, dass das christliche Fest im achten und neunten Jahrhundert im Maintal als Ostarstuopha bekannt war und es zahlreiche Variationen des von Bede genannten Namens unter den Sprechern der germanischen Sprachen gab. Zum anderen bezeichnet das angelsächsische Wort „eastre“ sowohl das Osterfest, als auch die Jahreszeit des Frühlings, was sich aus einer Verbindung mit den Wörtern anderer indoeuropäischen Sprachen herleiten lässt, welche die Morgendämmerung und auch Göttinnen bezeichnen, wie die griechische Eos, die römische Aurora und die indische Ushas. Auch die Slawen kannten eine weibliche Personifikation der Morgenröte, Zorya oder Zarya-Zarenitsa, die auch die rote Jungfrau genannt wird. 

Dass im heidnischen Weltbild ein Naturphänomen für einen Gott oder eine Göttin stehen kann, ist nichts Außergewöhnliches, denn diese personifizierten ihrer Götter und sahen in Blitz und Donner, nicht nur ein Naturschauspiel, sondern erkannten darin auch ihren Gewittergott Donar oder in einem Raben ihren Rabengott Wotan.

„Es ist daher durchaus möglich, zu argumentieren, dass Bedes Eostre eine germanische Gottheit der Morgenröte war, die passenderweise zu dieser Jahreszeit der  Öffnung und des Neubeginns verehrt wurde…. Mit der Streichung dieser schattenhaften Gottheit aus dem Kanon der historischen Gewissheit verflüchtigt sich jeder verlässliche Beweis für ein vorchristliches Fest in der Zeit von März / April. Möglicherweise gab es keins, da die alten Bewohner ganz mit Pflügen, Säen und der Pflege des Jungviehs beschäftigt waren. Es kann aber auch sein, dass einige der späteren Osterriten und Bräuche an die alten Feste erinnern, die wir heute aus den Augen verloren haben. Nur in einem Punkt kann man sich sicher sein: obwohl der Zeitpunkt des Auferstehungsfestes durch einen historischen Zufall bestimmt wurde, hätte er nicht passender in den europäischen Kalender fallen können, wo so vieles in der Natur zu einer Stimmung des Feierns und der Erneuerung beitrug.”

—- Ronald Hutton, The Stations of the Sun —-

Wie Hutton es so schön beschreibt, führt die Streichung dieser „schattenhaften Gottheit“ dazu, dass sie auch aus der wissenschaftlichen Debatte entfernt wurde, was die Grundlage für jede weitere Forschung und Erkenntnis ist. Dennoch gibt es Menschen, wie den britischen Philologen und Sprachprofessor Philip A. Shaw die das Thema noch nicht ad acta gelegt haben. In seinem Buch „Pagan Goddesses in the Early Germanic World: Eostre, Hreda and the Cult of Matrons“, verweist er auf über 150 Inschriften auf römisch-germanischen Weihesteinen am Fundort Morken-Harff, im Regierungsbezirk Köln, die sich auf einen Matronen-Kult der Austriahenae beziehen. Diese wurden erst im Jahre 1958 entdeckt und waren deshalb vielen Gelehrten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich vehement gegen die Existenz einer möglichen Göttin Eostre aussprachen, noch nicht bekannt. Das erste Element des Namens Austriahenae kann man etymologisch mit dem Namen Eostre verbinden. Shaw verweist somit auf eine Grundstruktur dieser beiden Kulte. Sprich, es gibt zumindest eine Gruppe von weisen Frauen, oder Göttinnen die mit einer möglichen Göttin Eostre sprachlich verwandt sind.

Shaw argumentiert allerdings, dass es sich dabei eher um eng begrenzte regionale Kulte handeln könnte, als auf eine übergeordnete Göttin, die im gesamtgermanischen Raum verehrt wurde. Regionale Gottheiten waren bei den Kelten und Germanen nicht unbekannt und auch wenn diese sich in manchen Charakteristiken ähnelten, hatten sie doch je nach Region unterschiedliche Färbungen, so wie man an den Matronenkulten sehen kann.

Ebenso scheint es wahrscheinlich, dass die angelsächsischen Christen die heidnischen Namen für die Wochentage und Monatsnamen übernommen haben, welche sich zu der Zeit bereits eingebürgert hatten, doch ohne hier einen Bezug zu ihrer vorchristlichen Vergangenheit oder einer Göttin herzustellen. Sie übernahmen höchstwahrscheinlich die lokalen Namen und nannten ihr Fest nach dem Monat, in das dieses fiel, was nicht bedeutet, dass die Heiden in diesem Monat keine Göttin feierten oder ihre eigenen Feierlichkeiten hatten, oder es diese Göttin nie gegeben hat.

Generell kann man sagen, dass die Beweislage bezüglich vorchristlicher Götter und Göttinnen im Allgemeinen dünn ist, und dass es sich bei dieser Göttin um eine regionale Göttin handeln könnte, könnte eine weitere Erklärung sein, warum es so wenige Quellen gibt, die für die mögliche Existenz sprechen. Allerdings würde ich die Diskussion alles andere als abgeschlossen bezeichnen und wer weiß, vielleicht birgt die Zukunft noch einige neue Entdeckungen, die bisherige Thesen unterstreichen oder widerlegen.

Meine persönliche Meinung ist, dass es eigentlich keine große Rolle spielt, ob es diese Göttin wirklich gab. Denn in einem Punkt sind sich sowohl antike als auch mittelalterliche Quellen einig, dass die heidnische Bevölkerung eine starke Naturverehrung lebten und zelebrierten. Und so wie das Fest der Auferstehung für die Christen das wichtigste Fest des Jahres ist, ist es nicht sonderlich abwegig zu argumentieren, dass gerade für ein Bauernvolk wie die Germanen es waren, deren Überleben maßgeblich vom Erblühen und der „Auferstehung des Frühlings“ abhing, diese Zeit mindestens genauso bedeutend sein musste und dementsprechend mit ausschweifenden Festlichkeiten, Ritualen und Opfergaben an die Vegetationsgötter und Göttinnen gefeiert wurde, so wie man es bei den Kelten sehen kann, die insgesamt drei Frühlingsfeste kannten. Und ob man diese Wiedergeburt in Form einer personifizierten Frühlingsgöttin mit dem Namen Ostara, Eostre oder in anderer Form feiern möchte, bleibt jedem selbst überlassen.

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